Aromatische Kohlenwasserstoffe verursachen möglicherweise Krebs
Nur eine Ausnahme? Das fragten wir uns, als wir beim Test von Körperölen (test 3/2015) per Zufall entdeckten, dass ein Produkt hoch mit kritischen Substanzen belastet war: den aromatischen Kohlenwasserstoffen, Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons, kurz Moah genannt. Sie stehen im Verdacht, Krebs zu erregen.
Alle untersuchten Kosmetika sind belastet
Der hohe Moah-Gehalt sprach dafür, dass es sich nicht um eine Verunreinigung aus dem Produktionsprozess handelt, sondern der Inhaltsstoff selbst die Ursache für den Fund war. An erster Stelle der Inhaltsstoffliste stand auf diesem Körperöl: Mineral Oil, also Mineralöl. Um Klarheit zu bekommen, verfeinerten wir die Analytik und prüften weitere Kosmetika, die laut Deklaration Mineralöl enthalten – zunächst andere Körperöle, dann auch Cremes, Baby- und Lippenpflege, Hairstylingprodukte und Vaselinen. Alle untersuchten Kosmetika, darunter Marken wie Bebe, Blistex, Dove, Labello, Nivea und Penaten, sind mit Moah belastet, siehe Tabellen Mineralöle in Lippenpflegeprodukten und Körperpflege- und Hairstylingprodukten.

Aufnahme von Moah über die Nahrung „potenziell besorgniserregend“
Zwar steht eine abschließende gesundheitliche Bewertung noch aus, siehe Mineralöl als kosmetischer Inhaltsstoff. Doch laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, Efsa, könnte die Moah-Fraktion ein „karzinogenes Risiko“ darstellen. Die Efsa erachtet die Aufnahme von Moah durch die Nahrung deshalb als „potenziell besorgniserregend“. Diese Einschätzung kann auf Lippenpflegeprodukte auf Mineralölbasis übertragen werden. Denn sie gelangen über den Mund direkt in den Körper. Wegen der Testergebnisse raten wir von Lippenprodukten, die mit Mineralöl hergestellt werden, ab. Ob ein Produkt Mineralöl enthält, steht in der Inhaltsstoffliste. In Naturkosmetik darf es nicht vorkommen. Auch bei konventioneller Kosmetik gibt es genug Alternativen.
Das Video zum Test

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Warum Mineralöle eingesetzt werden
Seit Jahrzehnten verwenden Kosmetikhersteller Rohstoffe aus Mineralöl als Basis der Rezepturen – Öle, Vaseline, Wachse. Die haben viele Vorteile: Sie sind sehr haltbar und preisgünstig, können in gleichbleibender Qualität produziert werden und verursachen keine Allergien. Von ihrem Ausgangsstoff, dem Erdöl, unterscheiden sie sich deutlich. Es wird in mehreren Schritten gereinigt und aufbereitet. So entstehen farb- und geruchlose Rohstoffe, die frei von Moah sein sollten.
Branche setzt auf Arzneibuchqualität
Namhafte Anbieter zeigten sich überrascht von unseren Testergebnissen. Beiersdorf teilte uns mit: „Klassische mineralölbasierte Rohstoffe verwenden wir ausschließlich in Qualitäten, die dem europäischen Arzneibuch entsprechen.“ Sinngemäß die gleiche Auskunft gaben uns Henkel, Johnson & Johnson und Unilever. Das Europäische Arzneibuch schreibt die Qualität von Rohstoffen für Arzneimittel vor. Es nennt auch Prüfungen, mit denen die Reinheit festgestellt werden kann, unter anderem UV-Spektroskopie. Das Problem: Die Methode ist für den Nachweis von Moah nicht geeignet, siehe So testen die Anbieter.
Neue Analytik macht Moah sichtbar


Unsere Analytiker haben eine Methode weiterentwickelt, die zum Nachweis von Moah in Lebensmitteln erprobt ist. Das Ergebnis: In sämtlichen ausgewählten Kosmetika wiesen wir Moah nach. Bei Moah handelt es sich um eine komplexe Mischung aus verschiedenen aromatischen Kohlenwasserstoffen. Noch ist es nicht möglich, ihre einzelnen Verbindungen genau zu identifizieren und toxikologisch zu bewerten. Moah gelten generell als unerwünscht. Wir konnten teilweise aber sogar alkylierte, teilhydrierte Polyaromaten nachweisen. Polyaromaten gehören zu den Komponenten der Moah, die als potenziell krebserregend gelten.
Bis zu 15000-mal so viel Moah wie in Lebensmitteln
Das Körperöl von Dove hat den geringsten Moah-Gehalt im Test: 0,005 Prozent. Das klingt wenig, ist aber das Achtfache dessen, was wir jemals an Moah in Lebensmitteln gefunden haben – in Schokolade aus Adventskalendern. Die höchsten Belastungen haben die Vaselinen mit bis zu 9 Prozent Moah. Das entspricht dem 15000-Fachen unserer Funde bei Lebensmitteln. Kein Wunder, Vaseline besteht ausschließlich aus Mineralöl. Es enthält zum größten Teil gesättigte Kohlenwasserstoffe – Mineral Oil Saturated Hydrocarbons, kurz Mosh. Die gelten zwar nicht als krebserregend, sind aber auch nicht unkritisch: Gelangen sie in den Körper, können sich einige davon im menschlichen Gewebe einlagern. Die möglichen gesundheitlichen Folgen sind nicht geklärt. Abhängig von der Rezeptur unterscheiden sich die Mosh-Gehalte im Test. Sie liegen zwischen 10 und 94 Prozent.
Spezialfall Lippenpflege
Moah sollten gar nicht in den Körper gelangen. Doch Lippenprodukte werden aufgetragen, abgeleckt und geschluckt. Der Wissenschaftliche Ausschuss für Verbrauchersicherheit der EU-Kommission (SCCS) schätzt, dass Verbraucher im Schnitt rund sechsmal täglich Lippenprodukte auftragen und vollständig aufnehmen. Das entspricht 57 Milligramm Produkt.
Wir raten von Lippenpflegeprodukten auf Mineralölbasis ab
Ein Beispiel: Der Lippenbalsam Blistex MedPlus enthält 1,4 Prozent Moah und besteht etwa zur Hälfte aus Mosh. Bei 57 Milligramm Aufnahme pro Tag sind das rund 0,8 Milligramm Moah und mehr als 25 Milligramm Mosh. Das kann also noch zu Moah und Mosh hinzukommen, die ein Erwachsener über Lebensmittel aufnimmt. Nach Schätzungen der Efsa sind das bis zu 3,6 Milligramm Moah und 18 Milligramm Mosh. Daher raten wir von Lippenpflegeprodukten auf Mineralölbasis ab. Auch Vaseline sollte nicht am Mund verwendet werden. Selbst Cremes können über die Hände in den Mund gelangen.
Umfrage Mineralöle in Kosmetika Wie beurteilen Sie MOSH und MOAH?
Die Umfrage ist bereits beendet.
Ich benutze ohnehin keine mineralölhaltige Kosmetika.
20.39% 488
Ich bin alarmiert und werde künftig solche Produkte meiden.
73.21% 1752
Ich werde weiterhin mineralölhaltige Kosmetika nutzen.
4.68% 112
Ist mir egal / weiß nicht.
1.71% 41
- Gesamtbeteiligung:
- 2393
- Info:
- Die Umfrage ist nicht repräsentativ.
Auch Aufnahme durch Haut möglich
Wie viele und welche Mineralölbestandteile durch die Haut dringen, lässt sich derzeit nicht eindeutig sagen. Auf Nachfrage teilte uns Professor Dr. Dr. Andreas Luch, Leiter der Abteilung Chemikalien- und Produktsicherheit beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), mit: „Gesundheitliche Risiken durch die Aufnahme von Mineralölen in Kosmetika über die Haut sind für Verbraucher nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu erwarten.“ Er räumt aber „größere Datenlücken“ ein, die insbesondere bei einer oralen Aufnahme von Kosmetika die „Bewertung erschweren“. Im Zusammenhang mit eigenen Untersuchungen zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in Verbraucherprodukten hatte das BfR Ende 2010 noch veröffentlicht: „Es wurde auch der Nachweis erbracht, dass alkylierte polyzyklische Aromaten Moah bei direktem Kontakt in die Haut migrieren und daher ebenfalls zu einem gesundheitlichen Risiko beitragen können.“
„Mengen an Mosh in Leber, Milz und Lymphknoten oft alarmierend hoch“
Darauf, dass Mineralöle durch die Haut gehen können, weisen auch Untersuchungen des Kantonalen Labors Zürich hin, siehe Unterartikel Mineralöl als kosmetischer Inhaltsstoff. Dr. Konrad Grob, Analytiker am Kantonalen Labor, befasst sich seit Jahren mit Mineralölen und arbeitete auch in der Efsa an der Risikobewertung mit. Für ihn sind Mineralöle die wahrscheinlich stärkste Verunreinigung des menschlichen Körpers. „Die Mengen an Mosh in Leber, Milz und Lymphknoten sind oft alarmierend hoch“, sagt er. „Es wäre wichtig zu wissen, wie viel aus Lebensmitteln, aus Kosmetika oder aus der Umwelt stammt. Weil wir nicht ausschließen können, dass auch die Haut eine Eintragsquelle ist, bedarf es dringend weiterer Forschung.“
Die Anbieter sind gefordert
Moah sind bereits vor Jahren in den Fokus gerückt – als Verunreinigungen in Lebensmitteln. Der Kosmetikbranche hätte klar werden müssen, dass durch mineralölhaltige Rohstoffe eine Moah-Belastung bestehen könnte. Die Anbieter sind gefordert. „Wir nehmen die von Ihnen kommunizierten Ergebnisse sehr ernst und prüfen derzeit die Ursache für die Verunreinigung mit aromatischen Kohlenwasserstoffen (Moah)“, teilte uns Johnson & Johnson mit. Beiersdorf geht davon aus, dass „Mineralöle und -wachse trotz höchster Reinigung geringe Mengen von Moah enthalten können“. Laut Professor Luch vom BfR ließen sich potenziell problematische Aromatenteile (Moah) nach gegenwärtigem Stand der Technik bereits auf Spurengehalte minimieren. Doch 5 bis 9 Prozent in Vaselinen, die zu hundert Prozent aus Mineralöl bestehen, sind weder geringe Mengen noch Spuren.
„Was wir nicht sicher beherrschen, sollten wir auch nicht einsetzen“
Mosh sind in Kosmetika auf Mineralölbasis nicht zu vermeiden. „Wir wissen generell zu wenig über die möglichen Folgen von Mineralölen auf den Menschen, auch von Mosh“, sagt Konrad Grob. „Wir sind wohl viel zu lange zu sorglos damit umgegangen. Was wir nicht sicher beherrschen, sollten wir auch nicht einsetzen.“